INTERVIEW

Digitalisierung – Den Kern extrahieren und digital neu denken

In unter vier Monaten eine komplette Messe zu digitalisieren, ist keine leichte Aufgabe. Noch dazu, wenn man mit einigen etablierten Konzepten physischer Messen bricht und völlig neue Konzepte entwickelt. Konstantin erzählt uns im Interview, warum die SPIEL.digital für ihn ein gelungenes Beispiel für Digitalisierung ist, was er unter dem Begriff versteht und warum „Vertrauen“ und „Ruhe bewahren“ für ihn wichtige DevOps-Praktiken sind.

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Konstantin Diener

CTO und Gründer, cosee GmbH

Seit rund 15 Jahren kennt Konstantin die IT- Branche in und auswendig. Er ist Vollblut-CTO und sprüht vor innovativer Ideen, mit denen er seine Kollegen und Kolleginnen bereichert.

Konstantin, im Behind-the-Scences-Video der SPIEL.digital sprichst du von einem „richtig geilen Digitalisierungsprojekt“. Das Thema Digitalisierung ist ja in aller Munde. Inwiefern sticht die SPIEL.digital für dich da heraus?

Dazu möchte ich kurz ein wenig weiter ausholen. Ich bin vor einiger Zeit auf einer Messe für Digitalisierungsthemen gewesen. Mehr als drei Viertel der Anbieter auf dieser Messe haben Lösungen angeboten, mit denen sich klassische Dokumente ablegen und organisieren lassen. Kontoauszüge als PDF per Mail zu bekommen, ist in meinen Augen keine Digitalisierung bzw. greift zumindest entschieden zu kurz. Ich habe keinen wirklichen Vorteil durch die „Digitalisierung“. Ich kann nur schwer in den Auszügen suchen, keine Aggregationen vornehmen und Ein-/Ausgaben keinen „virtuellen Konten“ zuordnen. Echte Digitalisierung bedeutet in diesem Fall eher, ein interaktives Konten-Cockpit zu haben.
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Bei der SPIEL.digital wäre der naheliegende Ansatz gewesen, einfach die physische Messe und die entsprechenden Hallen der Messe Essen nachzubauen. Genau das haben wir mit unserem Kunden zusammen aber nicht getan. Wir haben uns angesehen, was die Messe als Veranstaltung ausmacht und warum die Aussteller und Besucher auf die Messe kommen, und diesen „Markenkern“ dann ins Digitale übertragen. Dabei kann man dann auch Restriktionen der physischen Messe fallen lassen. Dort gibt es Messehallen aus Beton und Glas und ein Aussteller kann mit ein und demselben Stand immer nur in einer Halle sein.

Auf der SPIEL.digital haben wir mit den Themenwelten thematische Messehallen gebaut, und ein Aussteller kann mühelos in mehreren dieser Hallen vertreten sein. Wenn wir mal ehrlich sind, interessiert sich ein Besucher auch eher für bestimmte Themen und nicht für Aussteller. Zusätzlich konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Illustrator Franz Vohwinkel diese Themenwelten in einer Brettspielanmutung illustrieren.

Ein zweiter verbreiteter Irrglaube ist aus meiner Sicht, dass Digitalisierung immer zwingend eine komplett digitale Customer Journey und User Experience bedeutet.
Brettspiele zu spielen, ist eine sehr „physische“ bzw. gesellschaftliche Aktivität – nicht ohne Grund spricht man auch von „Gesellschaftsspielen“. Deswegen war es eine sehr kluge Entscheidung unseres Kunden, mit den Brettspielcafés frühzeitig lokale Akteure einzubinden (Stichwort: SPIEL local). Die physische Messe fand (in deutlich kleinerem Rahmen) also dezentral statt. So lassen sich digitale und physische Element gekonnt zu einer tollen User Experience verbinden.

Das klingt danach, doch zu einem guten Teil Neuland zu betreten. Kann man damit nicht auch furchtbar daneben liegen und ist das nicht ein großes Risiko?

Selbstverständlich ist das Neuland. Viele von den Dingen, die man bei einer echten Digitalisierung ausprobiert, hat das Unternehmen oder sogar die ganze Branche noch nie gemacht. Es gibt da auch keine vollständige Absicherung. Die einzige aus meiner Sicht sinnvolle Strategie ist ein kontinuierliches Risikomanagement in Form von Experimenten.

Man kann sagen, dass unser Kunde hier eine vorbildliche Kommunikations- und Transparenzpolitik hatte. Sie sind sehr früh und kontinuierlich an den Markt gegangen und haben sich zu den Konzepten der Messe Feedback eingeholt. Die Design-Entwürfe meiner Kollegin wurden in einer sehr konstruktiven, wertschätzenden Art auf Twitter diskutiert. Das hat unglaublich geholfen, regelmäßig die Wegrichtung zu überprüfen.

Der zweite Baustein war sicherlich, dass wir auch nach rechts und links geschaut und analysiert haben, was bei anderen Online-Formaten gut funktioniert und für Interaktion und Messegefühl sorgt.

Der dritte und letzte Punkt, den ich in diesem Zusammenhang erwähnen möchte, ist Continuous Delivery. Wir haben die Messe nicht in einem großen Klotz hingestellt, sondern sukzessive Teile geliefert und freigeschaltet. So konnten wir schon sehr früh Feedback von echten Nutzern bekommen, um die Lösung direkt anzupassen und zu verbessern. Das verringert die Gefahr eklatant, dass zum Stichtag die Kunden kommen und sagen: „Oh Gott, so hatten wir uns das aber nicht vorgestellt!“ und du ihnen sagen musst: „Naja, das ist jetzt eben so!“. Natürlich hätten wir auch die Publikumsmesse noch gerne mit mehr Experimenten verbessert, aber dafür war der Zeitrahmen zu eng. (lacht)

Das kontinuierliche Ausliefern und die Experimentierkultur sind beide Teil der DevOps-Philosophie, die unsere Arbeit bei cosee stark beeinflusst.

Du hast das Stichwort „DevOps“ im Zusammenhang der Experimentierkultur verwendet. Gerade über dieses Thema sprichst du ja auch immer wieder auf Konferenzen. Was ging da in dir vor, als um 10 Uhr am 22. Oktober, also zu Beginn der Messe, Performance-Probleme auftauchten?

Ich war ziemlich ruhig, weil mir klar war: Wir bekommen das zügig in den Griff. Tatsächlich impliziert die Frage ja, dass die DevOps-Philosophie und Probleme Gegenteile seien. Das ist definitiv nicht so. DevOps bedeutet nicht, dass es keine Probleme mehr gibt, sondern dass wir schnell und mit kühlem Kopf darauf reagieren, daraus lernen und vorher die passenden Vorbereitungen getroffen haben, um mit Problemen umzugehen. All das ist in dieser Situation passiert, wir waren gut vorbereitet. Wir haben vorher regelmäßig Lasttests gemacht, konnten also bestimmte Dinge direkt ausschließen. Wir hatten Application Performance Monitoring im Einsatz, das uns sehr schnell die Stellen der Engpässe gezeigt hat – und wie zielführend unsere Gegenmaßnahmen waren. Durch das Cloud Hosting waren wir wie geplant in der Lage, einzelne Komponenten nach Bedarf zu skalieren. Deswegen war ich nicht unruhig. Ich habe darauf vertraut, dass unsere Experten das in den Griff bekommen und sie in Ruhe gelassen. Und genau das ist passiert. Als ich ein/zwei Tage später vormittags in die Kanäle unseres Chat Tools geschaut habe, waren alle (support etc.) leer und nur im Kanal für Vermischtes stand ein lustiger Fun Fact. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigte sich: Die Plattform läuft gut!

Dieses Thema gibt mir auch die Gelegenheit, den Kreis zu schließen und zum Anfang des Interviews zurückzukommen. Wir sagen gerne, dass wir bei cosee Produktentwicklung machen. Produktentwicklung ist eben mehr als Software-Entwicklung: ein Verständnis für die Produktvision, das Geschäftsmodell und die Kundenbedürfnisse auf der einen und eine sinnvolle „Betreibbarkeit“ auf der anderen Seite gehören für uns dazu.

Das sind doch schöne Abschlussworte. Vielen Dank für das Gespräch.

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